Online-Dating #1: Das Treffen mit Prof16

Dating

Wer den Netflix-Hype «Der Tinder-Schwindler» verpasst hat, der kann sich an kuriosen Begebenheiten auf Online-Dating-Plattformen sattlesen: Schweizer Autorin Iris Kloos sucht nach ihrer Scheidung erneut ihr Glück und verzweifelt an der schrägen Männerwelt, die ihren Chatverlauf füllt. Ein Auszug aus dem Buch «Dating-Queen».

Dietmar kommt angefahren. Zuvor habe ich noch gewitzelt, ob er auch so ein «zerstreuter Professor» sei, wie man das der Berufsgruppe der Mathematiker und Physiker zuschreibt. Deshalb vielleicht auch sein Spitzname? Er steigt aus dem Auto, und mich «trifft der Schlag». Er kann sich kaum aus seinem Auto schälen. Als er endlich steht, muss er seine Kleidung zurechtziehen. Die Hose ist so weit runtergerutscht, dass selbst die Hosenträger sie kaum noch halten können. Dieser Mann hat wohl sehr alte Fotos eingestellt, denn vor mir zeigt sich kein 130 Kilo-Mann, sondern eher eine 220-Kilo-Urwucht. Ich habe einen solch dicken Menschen ehrlich noch nie gesehen!

Er ruft mir zu, dass er seit einigen Tage das Portemonnaie verlegt habe und nun auch noch das Geld sucht, das er «eben gerade noch da abgelegt hat» … und schon sind auch die Schlüssel unauffindbar, um das Auto zu verschließen.

Ich stehe ein wenig belustigt nebendran. Endlich hat er alles zurechtgerückt, gefunden und verstaut und kommt auf mich zu. Und natürlich ist man ziemlich verschwitzt bei diesem Gewicht, aber als er mich umarmt und sagt, wie sehr er sich freut, ist mir bereits ein wenig schlecht …

Da ich ernsthaft besorgt bin um seine Gesundheit, storniere ich den Plan, mit ihm einen längeren Spaziergang zu machen.

Da sagt er auch schon, dass er höchstens eine halbe Stunde laufen kann. Wir gehen in Richtung Fluss, und bereits nach den ersten wenigen Metern sehe ich Schaum in seinen Mundwinkeln.

Eine gescheiterte Ehe, die Geliebte und ich

Er möchte nach zehn Minuten Laufen bereits in das kleine Restaurant einbiegen, das zu einer Sportanlage gehört. Für mich ist es relativ schwierig, ihm nicht andauernd auf den schäumenden Mund zu schauen, und trotzdem wage ich es nicht, ihn darauf ansprechen. Die einzigen beiden Themen, um die sich jetzt alles dreht, sind Ernährung und seine Arbeit. An und für sich wäre das vielleicht interessant, wenn man von der Materie ein wenig was verstehen würde. Was bei mir überhaupt nicht der Fall ist.

Er erzählt mir von seiner gescheiterten Ehe und von seinen drei Kindern, die er regelmäßig sieht. So wie ich es verstanden habe, hat er ein unkompliziertes Verhältnis zu seiner Ex-Frau und zu den Kindern. Viel komplizierter, bedeutend komplizierter, gestaltet sich die Beziehung zu seiner «On-Off-Geliebten». Es sei eine Frau aus Rumänien, die unbedingt ein Kind von ihm haben möchte. Da es auf «natürlichem Weg» nicht gehen wird, hat er ihr bereits drei In-vitro-Fertilisationen bezahlt, der Gute.

Diese Dame hat sich nun bereits vier Monate nicht mehr bei ihm gemeldet, und von daher wisse er gar nicht sicher, ob er nun Vater wird oder nicht. (Und auch deswegen hält er nun wieder nach einer anderen Frau Ausschau.) Falls er Vater würde, möchte er natürlich beteiligt sein an der Erziehung, nicht nur am Mitfinanzieren des Unterhaltes.

«Das müsstest du natürlich akzeptieren, falls wir uns zusammentun!»

Er erzählt die ganze «Entstehungsgeschichte» der beiden und was sie für ein Verhältnis hatten und haben. Natürlich habe ich mich bereits von Anfang an «ausgeklinkt» und bin überhaupt nicht interessiert – denn was gehen mich seine Stories mit anderen Frauen an? Ich beschäftige mich schon mit ganz anderem, noch bevor er mir eine solche Beziehung in «Aussicht stellt».

Nachdem er seinen Kaffee ausgetrunken hat, faltet er das leere Zuckertütchen und beginnt, sich damit abwechselnd genüsslich zwischen den Zähnen und in den Ohren herumzustochern und zu pulen und zu bohren und zu reiben! Ich kann nicht sagen, wie sehr mich das abstößt. Es fällt mir schwer, nicht dauernd hinzugucken. Am liebsten würde ich das Weite suchen und ihn seinem «Schicksal» überlassen.

Es wird nicht besser ...

Ich würde gerne zahlen und weiterziehen, das sage ich ihm. Ganz höflicher Gentleman, der er sein will, lädt er mich auf die Cola ein. Nun haben wir ein Problem. Er kann nicht mehr weit laufen, weil ihm alles weh tut. Da wir bei der Sportanlage sind, fahren die Busse von dort aus in die Stadt. Ich schlage ihm das vor und sage, dass wir von dort aus zeitnah zum Auto gelangen können.

Gesagt, getan, wir sitzen im Bus. Da dieser relativ voll ist, muss er den Sitz neben mir nehmen. Und es ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte, dass er eigentlich zwei Sitze brauchen würde, aber mit der einen Pobacke finde auch ich noch Platz auf dem Sitz.

Meinen Denkfehler bemerke ich erst beim Anfahren, eingequetscht zwischen Fensterseite und ihm. Es ist wirklich eine unbehagliche und allzu «kontaktfreudige» Fahrt. Seine Nähe ist unangenehm, aber ich traue mich nicht, jetzt entschieden aufzustehen.

In der Stadt angekommen, beginnt es zu regnen. Ich sage, dass wir jetzt in Richtung Auto gehen können. Das lehnt er jedoch rigoros ab. Er meint, dass bis hierhin ja bloß er geredet habe und dass er noch etwas von mir hören möchte.

Da ich keinen Regenschirm dabei habe, sondern nur er einen hat, willige ich ein, nochmals in ein Café zu sitzen. In der Hoffnung, dass der Regen weitergezogen ist, wenn wir jetzt noch ein Eis essen. Aber auch, weil ich zu diesem Zeitpunkt einfach nicht zu meinen Empfindungen stehen kann und Dietmar gleichzeitig nicht verletzen oder beleidigen will.

Ehrlicher, ich meine jetzt auch mir selbst gegenüber, wäre es gewesen, die Sache hier und jetzt zu beenden. Ich kann nicht ewig so weitermachen und immer gegen mich, gegen meine eigenen Überzeugungen, Gedanken, Gefühle und Empfehlungen handeln.

Dietmar spannt seinen Schirm auf, umfasst mich ungeniert mit sattem Griff um die Taille und zieht mich mit einem kräftigen Ruck an sich heran.

Jetzt kann ich ihm endlich sagen, dass mir das viel, viel zu nahe ist, ich mich lieber an seinem Arm «einhängen» würde, anstatt so fest umschlungen nebeneinander zu laufen. Lieber werde ich durch und durch nass, überlege ich, als so nah bei ihm zu sein! Am liebsten wäre mir jedoch, ich hätte einen eigenen Schirm und wäre nun auf dem Weg nach Hause. Und zwar allein.

Der Womanizer

Im Café bestelle ich ein Eis, er möchte einen Kaffee, Kuchen, Karamellpudding und einen «Coupe Danmark»: Vanille-Eis mit heißer Schokoladensauce und Sahne. Ich sage nur so viel: Jetzt noch ein Zuckertütchen, und ich nehme Reißaus! 

Er will ja noch etwas von mir erfahren. Ich darf also einige Sätze zu mir sagen, bevor es wieder losgeht mit Geschichten über seine unzähligen Errungenschaften, darunter die vielen Damen aus dem Ostblock, auf die er so anziehend wirke.

Er muss ein richtiger «Womanizer» sein, wenn man ihm so zuhört. Er kriege ein Angebot nach dem anderen. Aber jetzt würde er gerne wieder eine Frau aus der deutschsprachigen Welt haben. Und darum fragt er mich, wie es «mit uns» aussehen könnte.

Ich lasse ihm den Vortritt: «Sag doch du zuerst!»

«Ja», meint er da, «ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das etwas mit uns geben könnte.» Auch wenn er mich heute noch nicht näher kennenlernen konnte, «weil du doch eher zurückhaltend warst mit Erzählen», möchte er unbedingt noch viel mehr erfahren von mir. Ich sei äußerlich wie innerlich absolut «sein Geschmack», wenn ich mich dezent kleide und nicht geschminkt sei. Die Tattoos würden auch nicht allzu sehr stören.

«Na, da bin ich aber froh!»

Ich muss seine Offerte leider ablehnen, mein Geschmack ist er nicht. So nett, wie ich immer bin, umschreibe ich, weshalb aus uns nichts wird. (Meine Söhne würden sagen: Ich rede es schön). Ich sage ihm, dass er noch viel zu sehr an seiner Vergangenheit hängt. Und dass er permanent von seiner potenziellen rumänischen Partnerin gesprochen hat, die eventuell schwanger ist. Das zeigt mir, dass er die Vergangenheit noch gar nicht abgehakt, geschweige denn verarbeitet hat. Er würde sofort wieder zu ihr gehen, würde sie auch nur mit den Fingern schnipsen.

Er ist fasziniert, wie ich das sehr geschickt analysiert habe. Und er muss mir recht geben:

«Also, du hast mein Problem richtig erkannt. Eigentlich hänge ich noch an Raluca. Es wäre schön, wenn wir zusammen noch ein Baby bekommen. Du bist sehr nett, aber ich möchte doch lieber nichts Neues beginnen. Das ist mir jetzt klargeworden. Du hast recht, ich hänge an der Vergangenheit, und ich verstehe vollkommen, dass du das nicht willst. Ich hatte schon Angst, der Grund könnte sein, dass du mich vielleicht nicht attraktiv finden könntest.»

Und selbst wenn das mit ein Grund ist, ich würde es ihm nie sagen, weil ich finde, dass mir das nicht zusteht. Und überhaupt: Soll er doch zu seiner Raluca gehen, wenn die ihn so attraktiv findet! Noch so gerne!

Nach der Abfuhr bekomme ich das Eis nicht mehr bezahlt. Was ich aber auch nicht erwartet habe.

Es hat tatsächlich aufgehört zu regnen, und wir laufen die letzten Minuten zu seinem Auto.

Unterwegs entfährt ihm ein lauter Furz. Ich versuche das höflich und verlegen zu ignorieren (und weil es, wie der Engländer sagen würde, weit und breit keinen Hund gibt, dem man die Schuld in die Schuhe schieben könnte!). Es ist mir unheimlich peinlich. Nicht für mich – für ihn! Aber da fragt er mich allen Ernstes:

«Ups, habe ich eben gepupst»?

«Ja, das hast du, lieber Dietmar, aber es ist nicht schlimm, wir sind ja an der frischen Luft!»

Nach einigen weiteren Schritten lässt er erneut «einen fahren» mit dem Kommentar «Uppsala, noch einer!»

Ich versuche, die Lage zu entspannen, und frage dieses wandelnde Atomkraftwerk, ob er für seine Heimreise noch etwas braucht, weil wir gerade an einem Supermarkt vorbeikommen. Aber nein, er braucht nichts, er sei satt.

Beim Auto danke ich für seinen Besuch und bin happy und geradezu «erlöst», dass das Treffen vorbei ist.

Ich schreibe ihm noch am selben Abend, dass es nett war, aber dass ich den Kontakt löschen werde, «damit ich mehr Ordnung in meine Unterhaltungen bekomme».

Noch in derselben Nacht antwortet er, offenbar weit nach Mitternacht zu Hause angekommen: Er sei damit einverstanden.

Das Couvert auf der Plattform, das den «Posteingang» symbolisiert, bleibt nun dauerhaft auf «0» stehen. Es vergehen einige Tage, bis endlich wieder eine Kontaktaufnahme erfolgt …

(aus: Dating-Queen von Iris Kloos, S.142–147)

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