Aktuell aus Katar: So bereitet sich das Land auf die WM vor

Sie steht kurz bevor: Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Wie es kurz vor den Eröffnungsspielen in dem Wüstenstaat aussieht, weiß Marianne Müller. Die Fontis-Autorin hat ihrer ehemaligen Wahlheimat einen Kurzbesuch abgestattet.

Ich vermisse Katar! Es ist ein wunderschönes kleines Land, und ich habe dort immer noch sehr gute Freunde. Darum entschließe ich mich, das Erscheinen meines Buchs «Unverschleiert in Katar» mit einem Kurzbesuch meiner Wahlheimat zu feiern. Unsere 14-jährige Tochter Jasmina kommt mit. Sie freut sich riesig, dass sie endlich «ihr» Land besuchen darf; in ihrem Reisepass steht schließlich «Doha, Katar» als Geburtsort.

Mein Mann warnt mich vorher: «In einem Monat beginnt die WM. Rechne mit Chaos! Überleg' mal, wie viel vorbereitet werden muss. Es sind sicher schon Unmengen an Leuten da. Der Flughafen, die Straßen, alles wird überfüllt sein!»

Doch als ich da bin, wundere ich mich darüber, wie leer die Straßen sind. Bei meinem letzten Besuch standen wir ständig im Stau. Jetzt fließt der Verkehr, und ich entdecke mehrere neue Unterführungen und Autobahnen. «Ja», sagt eine Freundin, «es ist so viel gebaut worden. Die Straßenführung ist jetzt komplett anders, und alles geht nun viel schneller. Außerdem haben wir seit Kurzem eine brandneue Metro, eine Untergrundbahn.»

Es gibt aber noch eine weitere Erklärung für die leeren Straßen. In der Presse werden die Einwohner Katars schon seit Wochen aufgefordert, die Straßen möglichst wenig zu benutzen. Aus Loyalität zu ihrem geliebten Land nehmen sie sich das zu Herzen. Dazu gibt es mehrere Regelungen, die dafür sorgen sollen, dass während der WM kein Verkehrschaos entsteht. Schulen bleiben von Anfang November bis in den Januar hinein geschlossen, der Unterricht erfolgt online. Außerdem sollen möglichst viele Arbeitnehmer von Zuhause arbeiten. Dazu gibt es weitere Beschränkungen; einige Teile der Stadt dürfen beispielsweise während der WM überhaupt nicht oder nur an bestimmten Tagen befahren werden.

Zugang nur mit besonderem Ausweis

«Hayya Card», so heißt der Zauberausweis für diese Tage! Mit diesem Schein stehen den Fußballfans alle Türen offen, sie sind auch der einzige Weg das Land in den beiden letzten Monaten des Jahres zu besuchen. Diese Karte fungiert als Visum, nicht nur für Katar, sondern auch für mehrere Nachbarländer, zum Beispiel auch Saudi-Arabien. Die kostenlose Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und verschiedene Aktivitäten sind einige der Vorteile dieses Ausweises.

Ich höre bei meinen Freunden manchmal einen leicht bitteren Unterton heraus. Den Gästen stehen alle Türen offen, heißt es, aber was ist mit uns, die wir hier schon so lange leben? Ja, Katar will sich seinen Besuchern von seiner besten Seite zeigen. Das führt aber dazu, dass die Bewohner sich benachteiligt fühlen. Bei den ungeheuren Kosten, die das Land für diese WM einsetzt, höre ich bei meinen Freunden auch die Frage heraus: Ist es das wirklich wert? Wird es vielleicht später ein böses Erwachen geben, wegen der großen Summen, die für diese kurze Zeit ausgegeben wurden? Es soll die teuerste WM der Geschichte werden.

Wie geht es den Gastarbeitern?

Die große Frage ist die nach den Arbeitern. Denn wenn diese Spiele Menschenleben kosten, wiegt das so viel schwerer als alles Geld der Welt. Doch wer kann wirklich sagen, wie es den armen Arbeitern geht? Als ich eine Freundin nach den Zuständen in den Arbeiterunterkünften frage, antwortet sie: «Da kann schon lange keiner mehr hin! Seit Jahren sind alle Behausungen der Arbeiter weiträumig abgesperrt und stehen unter Polizeischutz. So etwas wie damals, als ihr in die Camps gegangen seid, ist schon lange nicht mehr möglich!»

Zu denken gibt mir eine Beobachtung am Flughafen. Drei Arbeiter stehen in einem kleinen abgesperrten Bereich. Sie scheinen Lampen auszuwechseln. Vor ihnen steht untätig ein Wachmann herum. Stehen diese Männer bei ihrer Arbeit etwa unter Bewachung? Ich weiß es nicht, aber ich habe das Gefühl, die Arbeiter werden von den Touristen abgeschottet.

Vorfreude, Platzprobleme und Provisorien

Auf jeden Fall ist bei meinem Besuch, ein Monat vor Beginn der Spiele, die große Vorfreude an allen Ecken und Enden zu spüren. Unzählige Flaggen in weinrot und weiß, Plakate mit Fußballern und Fußbällen, und überall ist das lustige Maskottchen La’eeb zu sehen. Die Figur, die an ein Gespenst erinnert, besteht aus einem langen, wehenden Tuch, das an den Kopfschmuck der katarischen Männer erinnern soll.

Doch auch wenn die Stadt diese besonderen Tage scheinbar ruhig und gemächlich erwartet, heißt das nicht, dass alle Bauprojekte schon abgeschlossen sind. Überall sind abgesperrte Bereiche zu sehen, es wird rund um die Uhr gewerkelt. Und wie bei den Asian Games vor vielen Jahren wird mit Sicherheit nicht alles rechtzeitig fertig werden. Doch die Katarer haben da schon Erfahrung. Was nicht fertig ist, wird einfach schnell zugedeckt, zugepflastert, zubetoniert! Und wenn dann der Trubel vorbei ist, ja dann kann alles wieder aufgedeckt und in Ruhe zu Ende gebaut werden.

Eine große Frage bleibt: Wo nur diesen großen Besucherstrom unterbringen? Es gibt im Land schlichtweg nicht genug Unterkünfte. Selbst die drei riesigen Kreuzfahrtschiffe, die während der Spiele vor Doha geankert sein werden, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und obwohl es weitere kreative Lösungen für das Übernachtungsproblem gibt, zum Beispiel Beduinenzelte in der Wüste, reicht auch das nicht. Darum werden einige Fans in benachbarten Ländern unterkommen und an einem Tag hin und zurück fliegen. Andere werden in riesigen Ansammlungen von umgebauten Schiffscontainern untergebracht werden.

So ziemlich alle, mit denen ich spreche, sagen, dass sie an diesen Tagen weitgehend zuhause bleiben werden. Es gibt schließlich zuverlässige Lieferdienste für fast alles – Lebensmittel, Medikamente, fertige Speisen. Denn sie fragen sich ängstlich, was mit den vielen Fans auf sie zukommt. Werden sie sich betrinken und Randale machen?

Liebe statt Boykott

Das Stadion für das erste Spiel erinnert an ein riesiges Beduinenzelt. Das soll auf die wunderbare Gastfreundschaft des Landes hinweisen. Mit großer Euphorie will also Katar die Welt bei sich willkommen heißen. Das Land, das kaum jemand kannte, als wir 2005 dorthin gezogen sind, ist nun in aller Munde.

Die Geister scheiden sich: Unterstützen wir mit unserem Besuch, und sogar dem Anschauen der Spiele, Menschenrechtsverletzungen? Sollten wir die Spiele lieber boykottieren, um auszudrücken, dass es so nicht geht?

Aber ich frage mich, ob sich dadurch etwas verändern würde.

Ich denke an das, was ich als Mutter gelernt habe. Allzu viel Strenge und eine Vielzahl von Verboten führen nur zu Heimlichkeiten. Katar ist fest entschlossen, sich in der Sportwelt einen Namen zu machen. Dafür setzt das Land Unmengen an Geld und Ressourcen ein. Ich glaube nicht, dass Boykotte zu einer wirklichen Veränderung führen. Das Unrecht wird trotzdem weiterhin stattfinden, nur im Verborgenen. Und wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben – Unrecht gibt es in jedem Land, auch in Deutschland. Ob menschenunwürdige Arbeitsbedingungen oder Waffenlieferungen, die gegen unschuldige Menschen im Jemen eingesetzt werden, ich glaube nicht, dass Unrecht sich messen lässt.

Ob es nicht besser wäre, in dieses schöne und gastfreundliche Land zu reisen, die Einwohner kennenzulernen und ihnen vorzuleben, was es heißt, alle Menschen zu achten, unabhängig von Geschlecht, Nationalität und Kontostand? Ich glaube, wir sollten das Licht Jesu in dieses Land hineinbringen und für die Menschen dort beten.

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